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Interview Skitourenforum Wolfgang Diethard

Infrastruktur, Aufklärung und Ausbildung fördern!

 

Schitourengehen > Der Betreiber des Skitouren-Forums Steiermark Wolfgang Diethard im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Naturfreunde Steiermark Dr. Jürgen Dumpelnik über die Herausforderungen des Schitourenbooms, Lenkungsmaßnahmen und die Bedeutung von Onlineplattformen und Touren-Apps.

 

 

Wie viele andere Outdoorsportarten erfreut sich auch das Schitourengehen seit Jahren immer größerer Beliebtheit. Welche Herausforderungen bringt dieser Trend mit sich?

 

Diethard: Schitourengeher*innen sind keine homogene Gruppe mehr. Neben den klassischen Bergfexen gibt es reine Pistengeher*innen, „Sonntagstourengeher*innen“, Spitzensportler*innen sowie Extremalpinistinnen und -alpinisten, also die komplette Bandbreite mit entsprechend unterschiedlichen Anforderungen an Wissen und Ausrüstung. Demgegenüber stehen als theoretisches Gerüst eine alpine Lehrmeinung zu den tangierten Themen und eine inzwischen praktisch unüberschaubare Auswahl von technischen Hilfsmitteln. Ein nicht geringer Teil der Tourengeher*innen ist damit schlicht überfordert! Im Gegensatz zum Alpinschifahren fehlt auch die entsprechende Infrastruktur. Auf jeden Fall wird es künftig nicht mehr ohne gewisse Lenkungsmaßnahmen gehen.

 

Dumpelnik: Drei Punkte fallen mir da spontan ein: Der erste ist Individualismus, der zweite ist Masse, und der dritte ist Unerfahrenheit. Wir spüren ganz allgemein einen Trend zum Individualismus, vor allem bei den jüngeren Bevölkerungsgruppen, weshalb Einzelsportarten wie das Schitourengehen an Attraktivität gewinnen. Mit Masse meine ich, dass durch die Entwicklungen der letzten Jahre ein regelrechter Boom ausgelöst wurde, der zwar aus sportlicher Sicht erfreulich ist, aber wie alle Massenphänomene auch Schattenseiten birgt. Die Unerfahrenheit ist in diesem Zusammenhang das größte Problem. Viele Sportlerinnen und Sportler überschätzen sich, glauben, etwas Internetstudium zur Vorbereitung auf eine Tour reicht aus. Das löst eine Reihe von Problemen aus.

 

 

Welche Auswirkungen hatte bzw. hat die Corona-Pandemie auf diese Entwicklung?

 

Dumpelnik: Corona ist in diesem Zusammenhang wie ein Brandbeschleuniger. In einer Zeit, die immer wieder von Ausgangsperren und Kontaktbeschränkungen geprägt ist, sind Sportarten, die ohne Infrastruktur auskommen, natürlich besonders attraktiv. Sportarten, die lange nicht mehr hip waren, erleben jetzt eine echte Renaissance.

 

Diethard: Alpinschifahrer*innen wechseln zum Schitourengehen, weil sie Kontakte vermeiden wollen. Bei Einschränkungsmaßnahmen, etwa bei einem Lockdown, ist Tourengehen eine perfekte Möglichkeit, erlaubterweise im Freien unterwegs zu sein.

 

 

Was braucht es, um eine bessere Lenkung der Besucherströme zu erreichen? Wo steht hier die Steiermark im Vergleich zu anderen Bundesländern?

 

Diethard: Da gibt es einige sehr gute Trends, auch in der Steiermark. Ein Vorzeigeprojekt ist für mich das „Mürzer Oberland“. Diese Region ist klein genug, um direkten Kontakt zu allen beteiligten Gruppen zu halten und aktuelle Informationen - sowohl auf der eigenen Webseite als auch auf großen Portalen wie Outdooractive - zur Verfügung zu stellen. Sehr gut finde ich auch, dass es jetzt ab Wien und Graz organisierte Schitourenbusse gibt. Vielleicht sollte man sich auch bezüglich Fahrgemeinschaften und Tälertaxis etwas überlegen. Damit könnte man auch bei einigen Ausgangspunkten die Parkplatzprobleme entschärfen. Inzwischen ist auch die Dokumentation der Erreichbarkeit einzelner Touren mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den großen Tourenportalen etwas besser.

 

Dumpelnik: Der anhaltende, auch coronabedingte Boom vieler Outdoorsportarten führt natürlich zu den mittlerweile allseits bekannten Problemen. Im Winter kommt es durch Schitourengeher*innen, im Sommer durch Mountainbiker*innen und Wandernde zu besagtem Ansturm auf die Freizeitgebiete der Steiermark. Wir Naturfreunde treten für einen sorgsamen Umgang mit der Natur ein. Wir setzen auf Information und Aufklärung und arbeiten in allen Arbeitsgruppen des Landes mit, etwa bei der Jägerschaft, um Lenkungsmaßnahmen mitzugestalten. Darüber hinaus unterstützen wir auch alle Initiativen, die zu klimaneutraler Mobilität beitragen, zum Beispiel das Freizeitticket des Landes Steiermark.

 

 

Welche Rahmenbedingungen braucht es vonseiten der Politik?

 

Dumpelnik: Die Koordinierung und Zusammenführung von Maßnahmen sind Aufgaben, die wahrscheinlich nur mit Unterstützung der öffentlichen Hand möglich sein werden. Wir haben das beim Mountainbiken gesehen, und wir erleben das gerade bei den Initiativen zur Lenkung seitens der Jägerschaft. Ich glaube, dass es auch beim Schitourengehen letztendlich zweckmäßig ist, wenn die öffentliche Hand unterstützend mithilft. Die alpinen Vereine sind sicherlich hervorragende Träger aller Maßnahmen, doch es braucht mitunter auch die Autorität der öffentlichen Hand und deren finanzielle Unterstützung.

 

Diethard: Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten. Das kann eine zentrale Koordinierungsstelle wie für den Bereich Mountainbiken oder die Schaffung regionaler Portale sein. Wichtig ist, dass zwischen den Beteiligten vermittelt wird und Informationen auch tatsächlich bei den Menschen ankommen. Lenkungsmaßnahmen sind notwendig und zu begrüßen. Da sich das Schitourengehen derart rasant entwickelt hat, wird es jedoch noch ein wenig dauern, bis sich alles eingependelt hat. Hoffentlich bleibt dann noch genügend Platz für Individualismus.

 

 

Inwiefern können Tools wie Touren-Apps oder Plattformen wie das Skitouren-Forum Steiermark zu einer Verbesserung der Situation beitragen?

 

Diethard: Der Hauptvorteil des Skitouren-Forums Steiermark liegt in der Erreichbarkeit einer relativ großen und gut abgegrenzten Personengruppe. Von den mehr als 20.000 Mitgliedern sind während der Saison täglich mehr als 17.000 (!) im Forum aktiv. Gute Beiträge werden von mehr als 50.000 Personen gelesen. Mittlerweile gibt es für praktisch jeden erdenklichen Anwendungsfall im Schitourenbereich eine passende App oder Webseite. Und genau darin besteht für mich das Hauptproblem für Einsteiger*innen. Die gesamte Materie ist für viele einfach zu komplex geworden. Wichtig wäre es, die Menschen abzuholen und zu unterstützen. Ein Ansatz wäre vielleicht, einzelne Hotspots noch besser für Tourengeher*innen aufzubereiten.

 

Dumpelnik: Jede Plattform, jede App, kurz gesagt alles, was zu mehr Information führen kann, ist von enormem Vorteil. Ich halte die Unerfahrenheit und auch die Unbedarftheit mancher für die größten Herausforderungen im Hinblick auf ein konfliktfreies Miteinander. Wichtig wäre es, dass wir zu zentralen, anerkannten und akzeptierten Informationsquellen kommen. Je niederschwelliger und einfacher man zu qualifizierten Informationen kommt, desto eher wird man sie auch annehmen. Das Skitouren-Forum Steiermark und Apps wie das Tourenportal der Naturfreunde (tourenportal.at) leisten hier einen wertvollen Beitrag.

 

 

Was raten Sie Menschen, die gerade mit dem Schitourengehen begonnen haben bzw. damit beginnen wollen?

 

Dumpelnik: Sie sollten sich so gut wie möglich informieren und Mitglied eines alpinen Vereins, beispielsweise der Naturfreunde, werden, wo sie sich in Schitouren- und Lawinenkursen das nötige Wissen aneignen und wertvolle Erfahrungen sammeln können. Sie erhalten hier Unterstützung und lernen alles Wichtige im Rahmen einer Gemeinschaft. Das kann ein theoretisches Studium nur bedingt leisten. Positiver Nebeneffekt: Naturfreunde-Mitglieder sind umfassend versichert.

 

Diethard: Einsteiger*innen entscheiden sich oft für vermeintlich einfache Touren, auf denen viele andere auch unterwegs sind, oder für Touren, die sie bereits kennen und als sicher erachten. Oft folgen sie auch einfach irgendwelchen Vorbildern aus sozialen Medien. Ich empfehle aber: Unternehmt Touren mit Menschen, die sich wirklich auskennen! Am besten bei Veranstaltungen alpiner Vereine oder mit professionellen Guides. Noch besser ist es, gleich entsprechende Kurse zu besuchen. Die Einschätzung der Lawinensituation, Wetterbeobachtung und Tourenplanung sind keine trivialen Themen.

Die richtige Einschätzung der Lawinensituation und des Wetters sowie das nötige Know-How für die Tourenplanung sind Grundvoraussetzungen für sichere Schitouren. Die Naturfreunde bieten eine Vielzahl von einschlägigen Kursen an.
Immer mehr Menschen zieht es zum Schitourengehen in die Berge. Ein Trend, der sich durch die Corona-Pandemie verstärkt hat.
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