Martin Edlinger, Leiter der Abteilung Bergsport & Schitouren der Naturfreunde Österreich und Einsatzleiter der Bergrettung Knittelfeld im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Naturfreunde Steiermark Dr. Jürgen Dumpelnik über die Herausforderungen des Schitourenbooms, die Zunahme von Rettungseinsätzen und die Wichtigkeit von Ausbildungen zur Prävention von Unfällen.
Fotos: Eva Bachler, Michael Domian, Martin Edlinger
Schitourengehen hat in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Welche Herausforderungen bringt diese Entwicklung mit sich?
Dumpelnik: Grundsätzlich freuen wir uns darüber, dass es seit Corona mehr Menschen hinaus in die Natur zieht. Allerdings bringt der erwähnte Boom auch Herausforderungen mit sich: Die Anzahl der Schitourengeherinnen und -geher ist gestiegen, und damit haben auch die Probleme zugenommen, die oftmals durch Unkenntnis entstehen. Es kommt zu Nutzungskonflikten zwischen verschiedenen Interessengruppen wie Land- und Forstwirtschaft, Jägerschaft und Liftbetreibern. Deshalb müssen wir gemeinsam Konzepte entwickeln, um die Nutzung zu steuern und Konflikte zu vermeiden.
Edlinger: Mit dem Schitourenboom ist auch ein Anstieg der Unfallzahlen einhergegangen - vor allem in den touristischen Hotspots und bei den beliebten Schitourenzielen. In manchen Gebieten muss die Bergrettung oft täglich, manchmal sogar mehrmals täglich ausrücken. Das stellt die betroffenen Ortsstellen vor entsprechende Herausforderungen. Immerhin sind die Bergretterinnen und Bergretter ehrenamtlich im Einsatz. Kommt es saisonal bedingt zu einer Anhäufung von Einsätzen, bedeutet das natürlich einen personellen Engpass und somit eine große Belastung.
Die Anzahl der Rettungseinsätze im winterlichen Gebirge nimmt zu. Was sind dafür die Hauptursachen?
Edlinger: Seit Corona sind die Unfallzahlen in der Steiermark um etwa 20 Prozent gestiegen. Die meisten Unfälle sind jedoch keine Lawinenunfälle, sondern typische Alpinunfälle wie Stürze, die Verletzungen wie Knochenbrüche oder Schulterluxationen zur Folge haben. Auch die Zahl der Vermisstensuchen steigt, weil Tourengeherinnen und -geher sich verirren. Die Hauptursache dafür ist eine unzureichende Tourenplanung.
Dumpelnik: Leider sind manche Freizeitsportlerinnen und -sportler der Ansicht, dass sie einen Anspruch darauf haben, jederzeit und überall von der Bergrettung abgeholt zu werden. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie auch eine Eigenverantwortung haben. Unser Ziel als alpiner Verein ist es, immer wieder auf diese Eigenverantwortung hinzuweisen und Unfälle durch Aufklärungsarbeit und Wissensvermittlung zu verhindern. Viele Schitourengeherinnen und -geher überschätzen zudem oft ihre Kondition und ihr Können.
Wie lassen sich Touren sicher planen und durchführen?
Dumpelnik: Beim Schitourengehen ist wie beim Bergsteigen die richtige Ausrüstung entscheidend. Man muss sich auf jede Tour gut vorbereiten und die aktuellen Schneeverhältnisse beachten. Es ist ratsam, sich bei alpinen Vereinen oder der Bergrettung zu informieren, um Risiken zu minimieren. Die geringe Zahl schwerer Lawinenunfälle zeigt, dass in diesem Bereich bereits viel Aufklärungsarbeit geleistet wurde.
Edlinger: Die meisten Schitourengeherinnen und -geher sind gut ausgerüstet, aber es gibt Verbesserungsbedarf bei der Notfallausrüstung. Viele denken nur an das LVS-Gerät, vergessen aber auf Schaufel und Sonde. Auch ein Erste-Hilfe-Set und ein Biwaksack sollten immer dabei sein. Oft reicht schon ein kleiner Unfall, bei dem man länger auf den Rettungshubschrauber warten muss. Wenn man dann keinen Biwaksack mithat, kann es schnell unangenehm werden. Einen Biwaksack sollte man natürlich auch im Sommer immer im Rucksack haben.
Welche Rolle spielen Ausbildungen bei der Prävention von Unfällen?
Edlinger: Ausbildungen sind entscheidend. Es gibt zwar im Internet jede Menge Informationen zu Themen wie Notfallausrüstung oder Lawinenbericht. Vor allem Anfängerinnen und Anfänger können jedoch mit diesen Informationen oftmals nichts anfangen und haben insbesondere bei der Tourenplanung Schwierigkeiten. Für die Tourenplanung ist es wichtig, Karten lesen und den Lawinenlagebericht im Detail verstehen zu können. Hier liegt der Schlüssel eindeutig bei den entsprechenden Ausbildungen.
Dumpelnik: Dem kann ich nur zustimmen. Nur durch eine entsprechende Ausbildung kann ich vom oberflächlichen Wissen in die Tiefe dringen. Das gilt fürs Bergsteigen im Sommer ebenso wie fürs Schitourengehen im Winter. Da geht es nicht nur um die Lawinen- und Wetterkunde, sondern auch um die richtigen Bewegungsabläufe, die nötige Schitechnik, Ausrüstungskunde und Navigation. Ich kann nur immer wieder betonen, wie wichtig es ist, dass man bei einem alpinen Verein eine entsprechende Ausbildung absolviert. Gut ausgebildet hat man das erforderliche Know-how, um mit noch mehr Freude und einer besseren Selbsteinschätzung im winterlichen Gebirge unterwegs zu sein.