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Wie schaffen wir CO2-Neutralität?

Umwelt > Der ehemalige Landesrat für Sport, Umwelt und erneuerbare Energie in der Steiermark Manfred Wegscheider im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Naturfreunde Steiermark Dr. Jürgen Dumpelnik über Klimaschutzziele, Kernkraft und die Herausforderungen der Energiewende.

Fotos: Naturfreunde Steiermark, iStock

 

Immer mehr Menschen, vor allem junge, setzen sich mit Klima- und Umweltschutz auseinander. Was bedeutet diese Entwicklung für eine Organisation wie die Naturfreunde, die sich seit jeher für diese Themen stark macht?

 

Wegscheider: Natur- und Umweltschutz werden uns in diesem Jahrhundert als Thema Nummer eins begleiten. Besonders freut es mich, dass sich viele junge Menschen, die in Zukunft natürlich am meisten von der globalen Erwärmung betroffen sein werden, so aktiv dafür einsetzen. Die Naturfreunde haben in weiser Voraussicht schon im Jahr 1910 Naturschutz als Vereinsziel in die Statuten aufgenommen. Jeder Mensch, unabhängig von seiner sozialen Herkunft, sollte das Recht haben, sich frei in einer intakten und gesunden Natur bewegen zu dürfen. Diese Forderung ist heute genauso aktuell wie früher.

 

Dumpelnik: Klima- und Umweltschutz sind ohne Zweifel ein Hauptthema, mit dem wir uns in den nächsten Jahrzehnten als Gesellschaft auseinanderzusetzen haben. Die Naturfreunde widmen sich seit jeher der Thematik und haben schon sehr früh Fragestellungen aufgegriffen, die jetzt brandaktuell sind. Dennoch wäre es wichtig, mit unseren Forderungen, Werthaltungen und Überlegungen zu dem Thema noch sichtbarer nach außen aufzutreten. Hier möchte ich vor allem junge Menschen ansprechen, mit uns als Organisation gemeinsam diesen notwendigen Weg der Veränderung zu gehen.

 

 

Der Begriff „CO2-Neutralität“ ist in aller Munde. Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Ist das ein realistisches Ziel?

 

Wegscheider: Offen gestanden bin ich von der Erreichbarkeit dieses Zieles nicht zur Gänze überzeugt. Was mir fehlt, sind klare Konzepte sowie ein terminlicher Stufenplan, anhand dessen genau nachvollziehbar und überprüfbar ist, welche Zwischenschritte und Ziele innerhalb einer vorher definierten Zeitspanne erreicht werden konnten. Anstatt 20 Jahre in die Zukunft zu planen, sollte man sich europa- oder sogar weltweit auf eine Positionierung einigen, die beispielsweise alle fünf Jahre genau kontrolliert und wenn notwendig auch korrigiert werden kann. Ebenso braucht es genauere Zieldefinitionen für einzelne Schritte.

 

Dumpelnik: Dass die Erreichung der CO2-Neutralität das Gebot der Stunde ist, steht außer Zweifel. Ob dieses Ziel nun in 10, 20 oder 30 Jahren erreicht wird, ist meiner Meinung nach sekundär. Viel wichtiger ist es, dass diese ambitionierten Ziele jetzt einmal formuliert und als Zielvorstellung definiert werden. Einem schrittweisen Stufenplan kann ich nur zustimmen. Ganz allgemein spürt man, dass das Bewusstsein für eine Veränderung da ist.

 

Nehmen wir beispielsweise die Automobilindustrie, wo es vor fünf Jahren noch als unvorstellbar galt, komplett auf Elektromobilität umzusteigen. Mittlerweile sind wir bei diesem Thema schon um einiges weiter. Auf der anderen Seite wird der geplante Flottenwechsel andere Probleme mit sich bringen. Stichwort: seltene Erden. Um die CO2-Neutralität zu erreichen, wird die Elektrifizierung der Autos alleine nicht reichen, da haben wir noch ganz andere Aufgaben zu lösen, etwa im Bereich der Energieaufbringung. Auch Fragen wie die Energieabhängigkeit vom Ausland und die notwendigen Umrüstungen im Gebäudesektor werden uns noch vor große Herausforderungen stellen.

 

Wegscheider: Zum Thema Elektromobilität: Ich halte es für gut und richtig, dass man in der Automobilindustrie vermehrt auf Elektroenergie setzt. Doch woher soll der ganze Strom kommen, wenn die Umstellung breit umgesetzt wird? Die Stromaufbringung wird das nächste große Problem sein, das es zu lösen gilt. Unsere Netze sind schon jetzt voll ausgelastet. Beim Ausbau der erneuerbaren Energieträger können wir mit diesem Tempo nicht Schritt halten. Hier sollte man zusätzliche wissenschaftliche Forschungen zu alternativen Antriebsmethoden erwägen, etwa im Wasserstoff-Bereich. Mit dem derzeitigen Elektro-Antrieb allein wird es meines Erachtens schwer bis gar nicht funktionieren.

 

 

Wo steht die Steiermark im Vergleich zu anderen Bundesländern, was die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen betrifft?

 

Dumpelnik: Die Steiermark hat schon immer ambitionierte Ziele verfolgt und umgesetzt. Als Industrieland sind wir beim Erreichen der CO2-Neutralität an unsere speziellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gebunden. Auch von der Topografie her lässt sich die Steiermark nicht einfach mit anderen Bundesländern vergleichen. Ich glaube, dass vor allem die dezentrale Energieaufbringung ganz wichtig sein wird, um die Energiewende zu bewältigen, etwa indem man den Bau von Aktivhäusern weiter forciert. Nur mit Windrädern und Photovoltaikparks alleine wird es nicht gehen.

 

Wegscheider: Dem kann ich nur zustimmen. Was die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Industrie anbelangt, geht es uns in etwa ähnlich wie Oberösterreich, da muss man eigene Strategien entwickeln. Das lässt sich mit Bundesländern, in denen vor allem der Tourismus sehr stark ausgeprägt ist, nicht vergleichen. Meiner Meinung nach findet der höhere Energieanteil der Industrie in manchen Programmen derzeit noch nicht den nötigen Niederschlag.

 

 

Der Ausbau erneuerbarer Energieträger soll in Zukunft massiv verstärkt werden. Es gibt allerdings Bedenken, dass unsere einzigartigen Naturlandschaften durch den Bau großer Wind- und Photovoltaikparks zerstört wird. Ein unlösbares Dilemma?

 

Dumpelnik: Dass der Anblick von Windrädern und Photovoltaikanlagen mitten in der Natur vielfach als störend empfunden wird, ist nachvollziehbar. Hinzu kommt auch noch eine Reihe von wildökologischen Bedenken. Dennoch ist die Schaffung alternativer Aufbringungsformen ein notwendiger Schritt hin zur Energiewende. Wir können nicht grünen Strom fordern und gleichzeitig den Bau entsprechender Anlagen verhindern. Schützenswerte Gebiete müssen klar außer Streit gestellt werden. Dort, wo es schon Anlagen gibt, sollte man über einen sinnvollen Ausbau nachdenken. Die Erschließung neuer Flächen und Gebiete gehört vorher sehr genau geprüft. Vor allem im Bereich der dezentralen Aufbringungsformen gibt es derzeit noch riesige ungenutzte Flächen, die man zur Energieaufbringung verwenden kann. Sowohl in den Städten als auch am Land gibt es etwa genügend bestehende Dachflächen von Supermärkten oder Carports, die man gut mit Photovoltaik-Anlagen bestücken kann.

 

Wegscheider: Man darf bei all den Überlegungen nicht vergessen, dass es auch noch die Möglichkeit der Wasserkraft gibt. Diese nimmt in der Gesamtenergieaufbringung sogar den größten Anteil an grünem Strom ein. Hier müsste man auf Grundlage von Experteneinschätzungen schauen, wo sich die Wasserkraft noch besser einsetzen ließe. Wie bei der Entwicklung alternativer Antriebsformen sehe ich auch in diesem Bereich die Wissenschaft gefordert, neue Technologien zu entwickeln, um dem steigenden Bedarf an grünem Strom auf möglichst umweltschonende Weise gerecht zu werden.

 

 

Laut neuer EU-Verordnung soll Atomenergie künftig als „grüne“ Energie eingestuft werden. Kernkraft als Lösung für die Energiewende?

 

Wegscheider: Hier stellt sich für mich in erster Linie die Frage der Verhältnismäßigkeit. Von der Nutzung der Kernenergie geht nach wie vor ein hohes Gefahrenpotenzial aus, auch wenn sich dieses aufgrund der technischen Entwicklung in den letzten Jahren stark minimiert hat. Das zweite große Problem, das noch nicht gelöst ist, ist die Frage der Endlagerung. Wir dürfen nicht vergessen, dass - wenn man von Natur- und Umweltschutz redet - die Endlagerung natürlich eine gewaltige Rolle spielt. Solange dafür keine zufriedenstellende Lösung gefunden wird, gibt es von meiner Seite ein klares Nein zur Atomkraft.

 

Dumpelnik: Eines ist klar, „grün“ ist Atomenergie sicher nicht. Und wir Naturfreunde sind laut Grundsatzbeschluss bei der Bundeskonferenz 2014 strikt gegen den Bau neuer Atomkraftwerke. Pragmatisch betrachtet wird die Nutzung der Kernkraft aber wohl in vielen Ländern Europas eine Art Zwischenlösung darstellen. Wenn wir in den nächsten Jahrzehnten tatsächlich unser gesamtes Leben auf Elektrizität umstellen wollen, wird der rasant ansteigende Energiebedarf mit alternativen Energieträgern allein nicht überall gedeckt werden können. Bis entsprechende neue Technologien zur Verfügung stehen, um die Energiewende zu schaffen, wird Atomenergie ein Faktor bleiben - schauen wir nach Frankreich und Großbritannien. Deshalb ist bis dahin natürlich ein umsichtiger Umgang mit der Kernenergie gefragt, damit wir nicht wieder eine Katastrophe wie seinerzeit in Tschernobyl erleben müssen.

 

 

Zum Schluss ein kurzer Ausblick in die Zukunft: Wie sieht eine klimaneutrale Steiermark im Jahr 2040 aus?

 

Wegscheider: Sollten wir es bis 2040 tatsächlich schaffen, klimaneutral zu sein, stellt sich mir eine Frage ganz besonders: Inwieweit werden die Energiekosten zu Lasten der Endverbraucher*innen gehen? Wir stellen ja jetzt schon fest, dass der Markt zur alles bestimmenden Kraft geworden ist und die Energiepreise in letzter Zeit stark gestiegen sind. Viele Menschen können sie sich mittlerweile kaum mehr leisten. Die Energieversorgung wird in Zukunft, ebenso wie das Wohnen, ein elementares Lebensbedürfnis sein. Grüne Energie ja, aber sie muss auch leistbar sein!

 

Dumpelnik: Die aktuellen Energiepreisentwicklungen zeigen uns, wie wichtig Energie und im speziellen Strom für unser tägliches Leben sind. Ohne Strom geht heutzutage de facto gar nichts mehr. Man denke nur an die ganzen Blackout-Szenarien, die seit Monaten durch die Medien geistern. Wir leben heute in einer Gesellschaft, die massiv von Strom abhängig ist. Insofern ist die soziale Frage nach dem Zugang zu leistbarer Energie von besonderer Bedeutung. Eine klimaneutrale Steiermark im Jahr 2040 muss daher sicherstellen, dass die Steirerinnen und Steirer weiterhin so gut leben können wie jetzt.

 

Der ehemalige Landesrat für Sport, Umwelt und erneuerbare Energie in der Steiermark Manfred Wegscheider und Dr. Jürgen Dumpelnik, Vorsitzender der Naturfreunde Steiermark, sind sich einig: Die Energie der Zukunft muss nicht nur grün, sondern auch leistbar sein.
Weitere Informationen
Im Bereich der dezentralen Aufbringungsformen gibt es noch riesige Flächen, die man zur Stromerzeugung mittels Photovoltaikanlagen nutzen könnte.
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