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Inklusion im Sport

Der Präsident des steirischen Behindertensportverbands Herbert Rohrer im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Naturfreunde Steiermark Dr. Jürgen Dumpelnik über Inklusion im Sport, Aufgaben bei der Integration von Menschen mit besonderen Bedürfnissen und die Bedeutung des Breitensports.

Fotos: iStock, Kudernatsch, Naturfreunde

 

 

Was bedeutet Inklusion im Sport?

 

Rohrer: Das Thema „Inklusion“ ist zwar im Sportgesetz verankert, aber nicht definiert. Inklusion bedeutet für mich, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Sport betreiben. Allerdings muss man genau differenzieren, etwa zwischen körperlicher Behinderung, mentaler Behinderung, Sehbehinderung usw. Diese Gruppen haben verschiedene Bedürfnisse, auf die man auch entsprechend eingehen muss. Vor allem im Rahmen von Wettkämpfen müssen die unterschiedlichen Handicaps irgendwie ausgeglichen werden, damit man zu vernünftigen und fairen Ergebnissen kommt. Das gilt übrigens auch fürs Training.

 

Dumpelnik: Das Schöne an unserer Zeit ist, dass wir uns über das Thema „Inklusion“ so positiv unterhalten können. Dass wir uns darüber Gedanken machen, wie sich Handicaps ausgleichen lassen, damit ein fairer Wettbewerb gegeben ist, und wir uns nicht darüber unterhalten müssen, dass solche Wettbewerbe überhaupt stattfinden. Das ist für mich ein ganz positiver Zugang, den auch die Paralympischen Spiele wieder gezeigt haben, aber auch viele andere Initiativen und Veranstaltungen. Alle anderen Fragestellungen sind aus meiner Sicht lösbare Details.

 

 

Wo besteht noch Handlungsbedarf?

 

Rohrer: In erster Linie sehe ich Handlungsbedarf in der Vernetzung der Sportvereine. An wen kann ich mich wenden, wenn ich Angebote für Menschen mit Beeinträchtigungen schaffen möchte? Wo kann ich anfragen, wenn ich spezielle Sportgeräte zum Ausleihen brauche? Es ist natürlich nicht notwendig, dass jeder Dach- und Fachverband ein Spezialist für Behindertensport sein muss. Aber wenn der Informationsfluss zwischen den Vereinen besser läuft, schaffen wir es auch, das Angebot besser zu organisieren und mehr Menschen mit Beeinträchtigungen in Bewegung zu bringen. Es geht darum, dass man Erfolgserlebnisse ermöglicht, denn diese bauen einen auf, bringen einen weiter und geben Selbstvertrauen.

 

Dumpelnik: Das kann ich nur doppelt unterstreichen. Bewegung ist das A und O für ein gesundes Leben. Wir definieren auf öffentlicher Ebene laufend Ziele, die es zu erreichen gilt, wie etwa die österreichischen Gesundheitsziele. Diese Ziele zu erreichen wird aber nur in der Breite funktionieren, wenn die Leute individuell motiviert sind. Da darf es keine Unterschiede zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen geben. Vielen Organisationen fehlt allerdings für die Integration von Menschen mit besonderen Bedürfnissen schlicht und ergreifend das nötige Know-how. Hier gilt es, die einzelnen Spezialistinnen und Spezialisten miteinander zu verbinden und deren Wissen zugänglich zu machen.

 

 

Was tun der Behindertensportverband und die Naturfreunde, um die Integration von sogenannten Randgruppen zu fördern?

 

Dumpelnik: Die Naturfreunde waren immer eine Organisation, die versucht hat, weniger privilegierten Menschen das Gleiche zu ermöglichen wie Leuten, die sich Dinge leicht leisten können. Zugänglichkeit auf verschiedensten Ebenen ist ein ganz zentraler Aspekt unserer Vereinstätigkeit. Als eine Organisation mit über 30.000 Mitgliedern und 1300 Funktionärinnen und Funktionären allein in der Steiermark verfügen wir über eine breite Basis, um Menschen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen zu integrieren. Unser Angebot umfasst nicht nur eine Vielzahl von Sportarten; bei uns steht vor allem das Erlebnis in der Gemeinschaft im Vordergrund. Für mich ist es wichtig, dass Diversität nicht als bloßes Schlagwort verwendet wird. Diversität ist eine Lebenseinstellung, ein Grundprinzip, und das wollen wir in unserer täglichen Vereinsarbeit auch leben.

 

Rohrer: Der Behindertensportverband ist ein Fach- und Dachverband. Unsere Aufgabe besteht darin, dass wir Sport in all seiner Komplexität abbilden: Indoor- und Outdoor-Sportangebote, vom Leistungs- bis zum Breitensport, vom Kindersport bis hin zum Seniorensport. Der Behindertensportverband fungiert auch als Kompetenzzentrum und Verteiler für Information. Wir haben Kernsportarten, die wir seit 60, 70 Jahren betreiben, und natürlich neue Sportarten, wie etwa Paraclimbing, mit denen wir bis vor Kurzem eigentlich nichts zu tun hatten. Diese wurden von den Fachverbänden entwickelt und aufgebaut. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), die den Mehrwert des Sports längst erkannt hat, unterstützt uns im Bereich des Reha-Sports nun schon seit Jahrzehnten. Dafür bin ich sehr dankbar.

 

 

Der Fokus im Behindertensport scheint derzeit vor allem im Bereich des Spitzensports zu liegen. Kommt der Breitensport dabei zu kurz?

 

Rohrer: Der Eindruck entsteht deshalb, weil jetzt viel darüber berichtet wird. Erfolge bei den Paralympics gibt es ja schon seit Langem, nur ist der Behindertensport erst in den letzten 20 Jahren in den Fokus der Medien geraten, unter anderem auch auf Druck der internationalen Verbände. Ohne den Druck internationaler Verbände würde es bei uns auch gewisse Para-Sportarten nicht geben. Meist gibt es eine Handvoll von Ausnahmetalenten, die das Leistungsniveau aufgrund ihres Könnens verschieben, und die werden natürlich auch medial entsprechend transportiert. Dadurch entsteht dann dieser Eindruck. Dieses Phänomen ist übrigens auch bei vielen anderen Sportarten zu beobachten.

 

Dumpelnik: Sport braucht Idole. Das macht den Sport für viele Leute erst attraktiv. So gesehen können wir froh sein, dass die Paralympics auch einige breitenwirksame Idole hervorgebracht haben. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass Sport auch Breite braucht, dass eine Vielzahl von Menschen Sport ausüben und genießen sollen. Hier kommt den einschlägigen Organisationen eine besondere Bedeutung zu, denn Organisationen kanalisieren vieles, ordnen, strukturieren und bieten Möglichkeiten. Für mich ist der Breitensport genauso wichtig wie der Spitzensport. Das eine bedingt das andere. Ein Land ohne Breitensport wird auch keinen Spitzensport „erzeugen“. Und in vielen Bereichen, wo es keinen Spitzensport gibt, wirst du die Leute auch nicht zum Breitensport animieren können.

 

 

Wie ließe sich das Inklusionsangebot im Breitensport ausbauen?

 

Dumpelnik: Das bringt uns wieder zum Thema Vernetzung. In erster Linie gilt es, für das nötige Know-how zu sorgen und aufzuzeigen, wie einfach es ist, Menschen zu integrieren. Zweitens braucht es die öffentliche Wahrnehmung. Erst wenn wir uns einer Problematik bewusst sind, können wir etwas verändern. Drittens müssen entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Dazu braucht es die notwendige Unterstützung seitens der Politik, aber auch seitens der Zivilgesellschaft.

 

Rohrer: Ohne finanzielle Unterstützung vonseiten der Politik wird es nicht gehen. Darüber hinaus braucht es aber auch, so wie es früher üblich war, die Bereitschaft der Zivilgesellschaft, selbst Hand anzulegen und nicht nur darauf zu warten, dass jemand anderer es macht. Heute fragen sich ja viele, was sie dafür bekommen, wenn sie einer Organisation beitreten. Ein Gemeinschaftsgefühl. Ein Erlebnis. Das kann man nicht kaufen. Aber damit das funktioniert, müssen viele an einem Strang ziehen.

 

 

Zum Schluss ein kurzer Ausblick in die Zukunft: Welche konkreten Projekte/Initiativen sind in nächster Zeit in puncto Inklusion geplant?

 

Dumpelnik: Die Naturfreunde Steiermark werden in den nächsten Monaten und Jahren bewusst einen Schwerpunkt auf Inklusion legen. Wir werden das Thema in allen Fachbereichen und in den verschiedensten Arbeitsgruppen forcieren. Im Sommer finden unsere Regionalkonferenzen statt; dort werden wir den Schwerpunkt von Landesseite her ansprechen. Es gibt gute Aufhänger, die das Thema sehr plakativ machen, Stichwort Paraclimbing, wo unsere Athletinnen und Athleten im Vorjahr große internationale Erfolge feiern konnten. Diesen Schwung wollen wir mitnehmen.

 

Rohrer: Wir haben im Österreichischen Behindertensportverband (ÖBSV) ein Programm mit Bewegungs- und Informations-Coaches, kurz BICs genannt, aufgebaut. Für dieses Projekt wurden für die Steiermark zwei Personen angestellt. Aufgabe der Coaches ist es, verschiedensten Einrichtungen mit Beratungsleistungen und Informationen vor Ort zur Verfügung zu stehen. Das BICs-Programm ist vorerst für drei Jahre anberaumt und kann schon jetzt als Erfolgsstory bezeichnet werden. Wenn die Finanzierung es zulässt, wollen wir es nach Ablauf der dreijährigen Projektzeit fortführen.

Erzielt Spitzenleistungen im internationalen Klettersport: Angelino Zeller, Mitglied des Paraclimbing-Teams der Naturfreunde Steiermark.
Herbert Rohrer ist der Präsident des steirischen Behindertensportverbands. Der Behindertensportverband ist Fach- und Dachverband sowie Interessenvertretung für Menschen mit Behinderung im Sport.
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